Die Top-Five des Fußballjahres 2010

Eine lieb gewordene Tradition: die Top-Five des vergangenen Fußballjahres – gerade in Jahren, in denen die Fußball Weltmeisterschaft uns wieder Momente schenkte, an die wir vorher nicht im Traum gedacht hätten. Aber nicht nur die WM-Momente sind es, die in Erinnerung bleiben. In Erinnerung an ein grandioses Fußballjahr 2010. Unsere Top-Five der Fußball-Momente 2010:

Platz 5: Ein Moment Pokal
Weil diese Hitparade nie ohne einen Moment der Alemannia aus Aachen auskommt, war der Autor sehr in Sorge als sich das Jahr dem Ende näherte. Was sollte er nur nehmen? Ein Stadtbürgschaft, den Genuss einer Stadionwurst oder ein stinknormales Tor von Zoltan Stieber an einem nicht weniger normalen Sonntag Mittag? Es wäre schwer geworden, einen Aachen-Moment in dieser Hitparade ernsthaft zu verkaufen – wäre da nicht ein wahrhaft brillantes Pokal-Achtelfinale im Dezember 2010 dazwischen gekommen: Alemannia Aachen gegen Eintracht Frankfurt im neuen Aachener Tivoli, der ausverkauft vor sich hin brodelte als beide Mannschaften sich einen dieser typischen Fights lieferten, die es so nur im Pokal und nur dort gibt. Großartige Zweikämpfe, fanatische Fanlager auf beiden Seiten und ein Spiel, das jederzeit so oder so hätte ausgehen können. Tat es aber nicht. Stattdessen gipfelte die Partie in einem Elfmeterschießen, das ich vor dessen Beginn bei meinem Sitznachbarn im Stadion nur so ankündigte: „Das verlieren wir jetzt. Die sind abgezockter!“ Waren „sie“ aber nicht. Denn bis zu Benjamin Auer hatten alle Aachener – so jung sie auch waren – ziemlich überzeugend und sicher getroffen. Und wenn Auer nun treffen würde, würde die Alemannia ins Viertelfinale einziehen und – das war klar – ein komplettes Stadion würde explodieren. Mit kleinen Trippelschritten lief Auer an, schaute noch einmal hoch und – schickte den Keeper den Frankfurter in die falsche Ecke. Der Rest ist Verschmelzung von Publikum und Mannschaft. Schon beim ersten Jubelsturm hatte sich die komplette Kulisse so verausgabt, dass sie fast in sich zusammensackte – ein großartiger, ein unvergleichlich euphorischer Moment. Ein Moment, der schuld daran ist, dass man immer wieder hingeht zu diesem Verein. Ein Moment, der so groß war, dass man nun die nächsten fünf Jahre wieder davon zehren kann. Ein Moment Pokal. Ein Moment Alemannia!

Platz 4: Die Schande eines Hurensohns
Der in der Grand Nation ewig umstrittene Mittelstürmer Nicolas Anelka hatte den zugegeben eher beklagenswerten Trainer Frankreichs in der Halbzeitpause eher nonchalant einen Hurensohn geschimpft – so berichteten es jedenfalls die Gazetten. Ein Skandal sondergleichen einerseits, andererseits offenbarte er den inneren Verfall einer Mannschaft, die das Wort schon lange nicht mehr verdient hatte. Die Auftritte der Equipe Tricolore in Südafrika waren eine Beleidigung aller Franzosen – nicht mehr und nicht weniger. Ribery, Henry oder Malouda – klingende Namen, die ihren Landsleuten allerdings im WM-Sommer 2010 mit Anlauf in den Allerwertesten traten. Nur noch mal für das Protkoll: Eine WM findet alle vier Jahre statt und für manche Liebhaber des großen Spiels ist sie von großer Bedeutung. Doch weder ein Fehlpass noch ein missglückter Torschuss oder die sich bis zur Lethargie steigernden Einsatzbereitschaft der französischen Stars wäre hier eine Erwähnung wert, denn das kann passieren und ist auch schon des Öfteren bei früheren Meisterschaften geschehen. Der Gipfel der Impertinenz und gleichzeitig Beleg dafür, wie weit sich Fußballprofis manchmal von denen entfernen, die das Spiel lieben, war eine andere Szene. Nämlich die, als sich die Spieler dem Training verweigerten und im Spielerbus sitzen blieben, als ihr Trainer auf sie wartete. Vielmehr ließen sich die Herren durch ihren „Kapitän“ Patrice Evra mittels einer mindestens lächerlichen – vom Papier abgelesenen – Erklärung entschuldigen. Eine einzige Szene, die eine Bankrotterklärung war für den Fußball insgesamt. Für Frankreich war sie eine Schande.

Platz 3: Ohne Kompass durch Old Trafford
Noch ehe das Spiel in Old Trafford überhaupt richtig begonnen hatte, brauchten die Spieler des deutschen Rekordmeisters schon ganz dringend einen Kompass. Zu schnell zirkulierte der Ball zwischen den Spielern von Manchester United, zu famos war deren Spiel, das die Krönung in drei wunderschönen Toren fand. Keine Frage: Der FC Bayern schien mausetot zu sein. Mit gequältem Gesicht raunte Arjen Robben seinem Kapitän Mark van Bummel beim dritten Wiederanstoß zu, dass man irgendwie besser spielen müsse, um in der Champions League Saison nicht im Viertelfinale die viel zitierten Segel zu streichen. Das gelang den Bayern zwar nicht, was ihnen aber gelang, war ein unverdientes und glückliches Tor. Ivica Olic hatte den Ball fast von der Außenlinie durch die Hosenträger von Edwin van der Saar bugsiert und damit für ein Fünkchen Münchener Hoffnung gesorgt. Und tatsächlich spielten die Bayern in der zweiten Hälfte United in deren eigenen vier Wänden gegen eine derselben. Nur das Tor wollte scheinbar nicht fallen – bis, ja bis sich Franck Ribery den Ball zu einer Ecke zu recht legte und dabei Blickkontakt mit Robben aufnahm, der am Sechszehner stand. Ribery zirkelte die Ecke hoch über alle im Strafraum versammelten Köpfe genau auf den Fuß des Holländers. Robben nahm den Ball genau ins Visier und schickte diesen anschließend volley per Vollspann in Richtung van der Saar. Er tat das allerdings nicht mit purer Schussgewalt sondern – und das ist selten für eine solche Situation, die einst Lothar Matthäus und Andi Brehme erfunden hatten – überlegt in die lange Ecke des Tores. Und genau dort schlug er ein. Was für ein Treffer! Einer zum Nachspielen an Abenden, an denen man noch viel zu spät in seiner Stammkneipe sitzt und mit anderen Verstrahlten über genau solche Situationen fabuliert. Großartiger Robben! Der drehte indes ab, zeigte mit einer entspannten Jubelgeste, dass er sich diesen Schuss genau so ganz klar zugetraut hatte und lief an der Seitenlinie Old Traffords direkt in die nächste Runde – ganz ohne Kompass.

Platz 2: Asamoah Gyan – mehr als nur ein Spiel
Fußball in Afrika ist mehr als nur ein Spiel – eine zugegeben derart abgedroschene Phrase, die in einer Liga spielt mit Sätzen wie „Dein Verein wird Dir gegeben“ oder „Das Runde muss ins Eckige“. Sei´s drum! Als Asamoah Gyan, der bis dahin beste Spieler der Black Stars aus Ghana bei dieser Fußballweltmeisterschaft, zum Elfmeter in der 120. Minute anlief, hat er daran sicher auch nicht gedacht. Vielmehr wird er daran gedacht haben, wie er seine Elf in das Halbfinale der WM schießen würde. Und wahrscheinlich wird er auch daran gedacht haben, dass dies vor Ghana noch nie einem Team aus Afrika geglückt war. Und vielleicht hat er auch schon eine Statue von sich selbst in Accra, der Hauptstadt Ghanas gesehen, die ihn als einen Pionier des Landes darstellte, der den Weg in die Zukunft weist und an deren Fuß der Staatspräsident von nun ab jedes Jahr einen bunten Kranz niederlegen würde. Und als Gyan dies alles gedacht haben mag, wuchtete er das Leder gegen die Latte und von dort in den afrikanischen Abendhimmel. Kein Halbfinale, keine Statue! Gegner Uruguay gewann das anschließende Elfmeterschießen, in dem Asamoah Gyan übrigens sicher traf, und Ghana war raus. Untröstlich wurde der elende Elfmeterschütze anschließend vom Platz geführt. Viele Menschen auf den Rängen und in Ghana weinten tagelang hemmungslos. Fußball in Afrika ist mehr als nur ein Spiel.

Platz 1: Das Begräbnis eines Tores
Wenn man das Spiel seit ein paar Jahrzehnten intensiv verfolgt, ist man oft geneigt zu denken, dass einen nicht mehr viel aus der Fassung bringt. Schließlich hat man schon so ziemlich alles erlebt, was dieser Sport so hergibt. Ziemlich arrogant belächelt man ungläubige Jubel-Touristen nach großen Toren, zerberstenden Fouls oder einfach nur sensationellen Spielen. Doch dann gibt es Spiele, die sind einfach nur so unglaublich, dass es schon fast klebrig wirkt. Die Partien Deutschland gegen England bei internationalen Turnieren sind so etwas wie eine Endlosstaffel dieser Reihe. In diesem Jahr war die Begegnung der beiden aber eine Prüfung der besonderen Art, die schon in der Halbzeitpause alle Beteiligten überfordert hatte.
Ich verfolgte dieses Spiel bei ca. 35 Grad Außentemperatur in der Kölner Fußball-Bar meines Vertrauens und sah den Wirt des Hauses nach Lukas Podolskis Tor zum zwischenzeitlichen 2:0 quer durch die Kneipe fliegen und anschließend nach Luft ringen. Unbeschreibliche Szenen spielten sich ab – dank einer deutschen Elf, die aufspielte, wie es die Lebenden selten zuvor gesehen hatte. Doch plötzlich und wie aus dem Nichts schlugen die bis dahin schlicht nicht stattfindenden Engländer zurück, köpften den Anschlusstreffer und schickten Frank Lampard mit dem Ball am Fuß in Richtung Manuel Neuer. Ein Schuss, ein Tor! Das Leder sprang von der Querlatte klar hinter die Torlinie – 2:2. Lampard ließ sich an der Seitenlinie feiern und die 20.000 wild gewordenen Engländer feierten eine schreiende Ungerechtigkeit des Fußballs. Die Bar in Köln schwieg – aber nur einige Sekunden lang. Denn der Schiedsrichter gab das klare Tor nicht. Unglaublicher Fußball! 44 Jahre nach Wembley fiel ein klares Tor für England, kurz nachdem er vorher die Querstange berührt hatte. Sorry, aber mehr Kitsch geht nicht! Dieses Tor hätte theoretisch in jedem Spiel der Welt fallen können, bei jedem Verein gegen jeden anderen Verein, bei jedem Land gegen jedes andere Land. Millionen von Möglichkeiten, in denen dieses Tor hätte fallen können. Nein – es fiel ausgerechnet bei einer Fußball-Weltmeisterschaft, in einem KO-Spiel, bei der Begegnung zwischen Deutschland und England – und: Der Schiedsrichter verweigerte dem Tor die Anerkennung. In der Kölner Bar nahm sich der Wirt nach dem Spiel das Mikrofon, gab unzählige Liter Freibier und adelte den Moment als den, an dem das Wembley-Tor begraben wurde. Seine wild gewordene Kneipe feierte den Moment enthusiastisch bis ekstatisch. Ein Moment, in dem ich zum ungläubigen Jubel-Touristen wurde. Fast klebrig! Für mich der Fußball-Moment des Jahres 2010.

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